Trainingsbeschreibung vom Mittwoch, den 22. Nov. 2017
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Die Matte ist weich und gibt nach. Vorsichtig knie ich mich auf den lindgrünen Stoff im Aikido Zentrum Hamburg. Mit gerunzelten Augenbrauen rekapituliere ich das eben Gesehene. Es sah so einfach aus! Mein Lehrer raffte seinen Hakama, hob prüfend den Blick, um der Aufmerksamkeit aller gewiss zu sein, nickte und kniete nieder. Suwari Waza, was soll ich sagen! So manch einer seufzt tief oder zeigt ein verzweifeltes Grinsen, da die Knie nicht immer ganz begeistert von dieser Bewegung sind.
Diese alte Technik der Samurai half den Kämpfern bei der Verteidigung am Boden, sei es, dass sie sich beim Kampf nicht mehr auf den Beinen halten konnten oder während des Sitzens von einem Gegner überrascht wurden [2]. Betrachten wir die heutigen Umstände, könnten wir natürlich das Lernen dieser Verteidigung in Frage stellen, denn wann kämen wir in solch eine Gefahr? Doch flüstert in unserem Inneren nicht ein falscher Ratgeber, wenn wir gerade diesen Part nicht mehr erlernen wollen? Die Argumente würden genauso für alle anderen Techniken gelten. Ein gelungener High-Fall ist ebenso eine Herausforderung an den Körper! Wem schmerzen nicht in der Zeit des Lernens alle Knochen? So bemerke ich ansetzende Zweifel über eine Sinnhaftigkeit, setze mich einen kleinen Moment mit dieser Frage auseinander und verwerfe sie sogleich.
Im Seiza zu sitzen ist kein Problem, schließlich dehnen sich die Muskeln und bleiben locker. Doch dies ist eine Steigerung. Verstohlen schaue ich mich um. Ein schwungvolles Fortbewegen beginnt, als schwirrten einige Skarabäus-Käfer mit einem Tanz puren Vergnügens aus. Das Rauschen der Hakama durch das Aufeinander reiben der Stoffe begleitet meine Beobachtung. Ich könnte einfach die Augen schließen, verharren und diesem Geräusch folgen, das durch kein gesprochenes Wort unterbrochen wird. Konzentration und dynamische Bewegungen füllen den Raum mit Energie. Ich möchte mich dem flirrenden Bunten ebenfalls anschließen, doch als Anfänger drängen sich zunächst ganz konkrete Fragen in den Vordergrund: Wie können die Hacken bei dieser Fortbewegungsart zusammen bleiben? Warum verliert niemand sein Gleichgewicht? Wie war noch die Abfolge? Hin und her gerissen von den Gedanken und den immer wieder neu ansetzenden Kriechbewegungen, starre ich wieder auf meine Knie. Wie kann ein Anwärter auf den 2. Dan die ganze Zeit der Prüfung auf diese Art und Weise die unzähligen Techniken durchführen? Dieses Können schien mir von Moment zu Moment in immer weitere Ferne zu rücken.
Das Rascheln eines Hakamas unterbricht meine Gedanken. Mit einem Lächeln kniet mein Lehrer neben mich und fordert wortlos zum Folgen seiner Vorgabe auf. Erleichtert atme ich tief durch und freue mich darüber, einen detail-genauen Lehrer beobachten zu dürfen, der mir die eigentlich kurze Abfolge der Bewegung nochmals in kleine Abschnitte unterteilt. Aufmerksam ahme ich seine langsamen Körperdrehungen nach. Als zusätzliches Hilfsmittel deutet er auf den Spalt zwischen den Matten, der mir als Hilfslinie meine Richtung weisen soll. Ich nehme eine lockere aufrechte Haltung mit dem Bewusstsein der inneren Mitte ein, die weder vorn über gebeugt noch verkrampft ihren Schwerpunkt im Zentrum besitzt. Mit aufgestellten Füßen spreizen sich die Knie und stehen nun seitlich zur Hilfslinie. Der erste Schritt liegt darin, die seitliche Position aufzugeben und eine Körperseite nach vorn zu schieben, so dass die Linie in die Richtung zu zeigen scheint. Ein Öffnen der Hüfte zur anderen Seite folgt durch ein Herumschwingen der Füße und nicht des Körpers; allein diese Tatsache ist nicht einfach umzusetzen, da die Herkunft der schiebenden Energie das Ergebnis beeinflusst. Nun steht der Körper spiegelverkehrt zur Ausgangsposition. Das erneute Ausrichten zur Grundlinie erfolgt jetzt durch das Aufstellen des rechten Beines, eine Verlagerung des Schwerpunktes schiebt den gesamten Körper wieder in die entgegengesetzte Richtung, bring das rechte Knie zu Boden und der linke Fuß sucht erneut seinen Konterpart. Staksig wie ein konzentriertes Enten-Küken bewegen sich meine Knie über diese Linie hinweg. Vorsichtig prüfe ich den Gesichtsausdruck meines Gegenübers: ein eindeutiges Naja! Immerhin!
Zufrieden bedanke ich mich mit einer leichten Verbeugung und schließe mich der mir wieder bewusst werdenden Umgebung an. Die Energien nehmen nun meinen Körper in ihre Mitte auf, denn Lernen ist ein wunderbar erfüllendes und tragendes Gefühl, egal an welcher Stelle sich der Fortschritt befindet. Mögen noch so riesige Berge an Training und wirklichem Erfassen der korrekten Abfolgen vor Einem liegen, das Wollen zum steten Lernen in dieser Kampfkunst zaubert ein zutiefst lebenswertes Gefühl. Probieren Sie es aus!
Christine F. Behrens
[2] Black Belt Wiki, zu finden unter http://www.blackbeltwiki.com/aikido-suwari-waza, abgerufen am 23.11.2017