Der „sanfte“ Bokken/ Training 14.02.2018

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Aikido lebt davon, den Körper und den Geist in Einklang zu bringen. Es ist sozusagen die Grundvoraussetzung, um einen Zugang zu den wirklich, wirklich interessanten Bereichen zu erlangen. Wenn ich alle Techniken in und auswendig kenne, wenn mein Körper nicht mehr über die Korrektheit einer Aufgabe nachdenken muss, wenn meine tiefe Gelassenheit die Basis für meine Ausführung ist, ohne einen Gedanken an den Ablauf verschwenden zu müssen, wenn meine Absicht, Entscheidung und Bewegung EINEN Weg darstellen und meine Technik nicht mehr als solche für meine Gedanken greifbar ist, dann beginne ich, das wirkliche Ki-Ken-Tai der alten Samurai zu leben.

Treffe ich als Technik-Ausführender keine richtige Entscheidung über mein Tun, agiere ich in den blauen Dunst hinein und bin dadurch zögerlich und unentschlossen, dann ist die gesamte Bewegungsabfolge zum Scheitern verurteilt. Genauso gilt dies für eine zu späte Entscheidung oder auch für eine Entscheidung, die weit über meinen derzeitigen Fähigkeiten liegt. Eine richtige Wahl meines Tuns, eine richtige Umsetzung meiner Absicht, kann nur durch viel Erfahrung geschult werden. Ich muss jeden einzelnen Fehler am eigenen Leib spüren, der mir mit Sicherheit eine Menge blauer Flecke als Markierung meines Lernens schenken wird. Ich muss nicht nur mein Scheitern erfühlen, erspüren, sondern ich muss jeglicher Entscheidung für einen Moment in der Verteidigung einen Augenblick der Betrachtung schenken, um überhaupt einen Fortschritt erlangen zu können.

Dies alles kann ich nur, wenn mein Trainingspartner ebenso weiß, was er tut. Bekomme ich von meinem Gegenüber keinen richtigen Impuls, dann kann ich ihm genauso gut die Hand zur Begrüßung schütteln. Halten unsere Hände Bokken, so ist es wichtig, von dem Angreifer einen gut geführten Impuls zu erhalten, der NICHT zwanzig Zentimeter vor meiner Stirn innehält oder so viel Abstand einfügt, dass die Schwertspitze nicht einmal meine Aura streift. Wieder ist hier die Erfahrung gefragt. Als Angreifer ist es wichtig zu wissen, wieviel Energie kann und darf ich einbringen, ohne den Anderen zu verletzten? Benutzen wir beim Üben die regulären Holzbokken, dann kann es wirklich zu unschönen Verletzungen kommen.

Für genau diesen Fall gibt es die Shinai. Es sind Übungsschwerter aus Bambus, die von vorn bis hinten mit weichem Leder umhüllt sind. Der Bambus besitzt federnde Eigenschaften; so kann es nicht wirklich zu großen Verletzungen kommen und trotzdem gibt die Eigenart des Holzes mit der Lederumschnürung einen stabilen Halt. Heute bekam ich von Matthias mein eigenes Shinai überreicht. Eigene Waffen haben ihren Reiz. Es beginnt mit der Auswahl, die jeder anders handhabt und schließt mit einer Markierung, die wiederum immer eine Aussage über den Eigentümer zulässt. Individualität ist dann das Zeichen der Stunde. Schließlich legen viele Aikidoka ihre Schwerter im Dojo auf einem extra angebrachten Regal ab, um sie immer sofort für die Bokkenstunde parat zu haben und möchten dabei ohne großes Suchen ihr eigenes sofort erkennen und herausziehen können.

Mein Shinai fühlte sich ganz anders an. Eigentlich dachte ich, es müsste viel leichter sein, als mein Holz-Bokken, doch das war nur ein Gefühl. Mein Lehrer zeigte mir, dass ich die Leder-Naht beim Führen des Shinai nicht als Schlagseite nutzen dürfe, sonst wäre die Pracht bald dahin. Soweit so gut.

Ein Kämpfender sollte die Wucht seines Bokkens kennen und genau wissen, wo der Schlag beginnt und endet. Dies weiß ein Aikidoka nur durch genügend Erfahrung, die er wiederum nur durch Training erhalten kann.

Die ersten zehn Minuten fühlten sich ungewohnt an. Vor allem hat sich bei einem neuen Shinai noch nicht die Naht niedergedrückt. Nach der ersten Trainingsstunde mit meinem neuen Shinai brannte diese dann doch in den Handinnenflächen. Das Leder fühlte sich ganz anders an als ein glatter Holzbokken. Meine Hände umfassten es anders; der Griff schien dadurch fester zu sein und besaß mehr Haftung.

So stand ich in der Ausgangsposition und begann mit den Schwingübungen, um ein Gefühl für das Shinai zu erhalten. Jede Übungsstunde wird getragen durch viele Einzelheiten, die sich in meine Erinnerung festbrennen, die beim nächsten Mal parat sind, um von dort aus auf etwas anderes aufmerksam zu werden oder es zu erkennen. Es ist ein Treppensteigen, das so beschäftigen kann, dass der Fortschritt überhaupt nicht wahrgenommen wird. Nur der Lehrer wird es erkennen, auch wenn uns selbst so manches Mal die Verzweiflung überkommt, wenn wir festzuhaken scheinen.

Ausgangsposition. Gerade Haltung. Kein Hochziehen der Schultern. Öffnen des Brustkorbes. Der Bokken sollte locker und leicht in beiden Händen liegen. Es hört sich so einfach an. Wer es noch niemals ausprobiert hatte, besaß keine Vorstellung, dass dies schon ein richtiges Problem darstellen konnte. Wenn ich diese Hürde nehme, vielleicht in ein paar Monaten, dann werde ich sehr zufrieden sein.

Unser Lehrer erklärte uns, dass der Impuls beim Herunterziehen des Schwertes durch die linke Hand erfolgt und dass die Richtung von der rechten bestimmt wird. So beginnt das Ki-Ken-Tai. Damit ich überhaupt eine Richtung vorgeben kann, muss ich wissen, in welche ich überhaupt möchte. Meine Gedanken sollten konkret sein; sind sie es nicht, dann werde ich mein Ziel nicht erreichen. Denn „Ki“ sind meine Gedanken, mein Blick, die Ausrichtung meines Geistes, der etwas möchte, sozusagen mein Fokus. Habe ich diese Hürde gemeistert, so folgt die Umsetzung in der Bewegung mit meinem Schwert, „Ken“. Ist auch dieser Schritt überwunden, braucht unser Körper, „Tai“, dem Ganzen nur noch zu folgen.

Worin liegt also das Ergebnis? Es liegt darin, alle drei Schritte in einem ausführen zu können, all die Hindernisse zu überwinden und sie als Brücke für einen fließenden Kampf nehmen zu können. Durch Jahre langes Training verinnerlichen wir die Techniken und lassen somit unseren Geist frei. „Es gibt (dann) keine Grenzen, und das ist der Anfang der Budo-Erfahrung.“

Aller Anfang ist schwer, doch die Belohnung wird umso größer sein.